Fragen und Antworten

Die Regierung hat eine Vielzahl an Fragen und Antworten zur Verfassungsinitiative zusammengefasst.
 

Allgemeine Fragen zur Verfassungsinitiative

Wer würde von einer Annahme der Initiative profitieren?

In erster Linie erhalten die Regierungsmitglieder durch die Direktwahl eine stärkere Position, insbesondere der vom ganzen Volk gewählte Regierungschef bzw. die Regierungschefin. Dies käme einem Präsidialsystem wie in den USA oder in Frankreich gleich. Das Volk profitiert dahingehend, dass es neben der Wahl des Landtags als Volksvertretung auch die Regierung direkt wählen kann.

Wer würde bei einer Annahme der Initiative benachteiligt?

Die Stellung von Fürst und Landtag würde im Verhältnis zu Volk und Regierung geschwächt. Der heutige Dualismus basiert auf einem Zusammenwirken von Volksvertretung und Fürst und umfasst gleichzeitig viele direktdemokratische Elemente wie Referendums- und Initiativmöglichkeiten. Dieses austarierte und seit über 100 Jahren bewährte System würde durch eine direkt vom Volk  legitimierte Regierung grundsätzlich infrage gestellt.

Welche Gefahr besteht für die politische Stabilität, wenn das Volk die Regierung direkt wählt?

Die Gefahr ergibt sich nicht direkt aus der Wahl durch das Volk, sondern aus der zukünftigen Zusammenarbeit zwischen Fürst, Landtag und Regierung. Ist die Regierung nach dem neuen Verfahren bestellt, besteht die Gefahr,
dass sie aus fünf Einzelkämpferinnen und -kämpfern besteht, die weder im Landtag noch innerhalb der Regierung eine Mehrheit haben. Dies erhöht die Gefahr politischer Blockaden und im Extremfall des Verlusts der staatlichen
Handlungsfähigkeit. Vorgezogene Neuwahlen wären die Folge. 

Gemäss den Initianten hat der Landtag das Recht, vom Volk gewählte Regierungskandidatinnen und -kandidaten abzulehnen. Spricht dies nicht dafür, dass der Landtag gestärkt wird?

Dieses Recht hätte der Landtag gemäss Initiativvorschlag tatsächlich. In der Realität würde das Parlament, bestehend aus vom Volk gewählten Abgeordneten, aber kaum ein ebenfalls vom Volk gewähltes Regierungsmitglied ablehnen, da dies gemäss Initiative Neuwahlen von Landtag und Regierung zur Folge hätte.

Wie würde sich die Regierung im Zuge einer Direktwahl durch das Volk zusammensetzen?

Das ist schwer zu sagen, da gemäss Initiative jede Position im Mehrheitsverfahren gewählt werden soll. Dies hat zur Folge, dass die Regierung bunt zusammengewürfelt sein oder aber aufgrund des Wahlverfahrens auch aus Vertreterinnen und Vertretern einer einzigen Partei bestehen könnte. Beides wäre der heutigen Stabilität mit einer Koalitionsregierung abträglich.

Immer wieder ist zu lesen bzw. zu hören, dass es sich bei der geplanten Verfassungsinitiative um ein Experiment handelt. Ist dem so?

Ja, es ist ein Experiment. Das bestätigt auch der Erfinder der DpL-Verfassungsinitiative, Andreas Glaser, Professor für Staats-, Verwaltungs- und Europarecht an der Universität Zürich. Er sagte in einem Interview: «Ja, es ist ein Experiment. Die Frage wird sein, ob sich die Liechtensteiner auf dieses Experiment einlassen wollen – vor dem Hintergrund der Erfahrungen, die sie mit dem bisherigen System gemacht haben.»

Was würde auf eine Annahme der Initiative folgen?

Die Landesverfassung würde auf den 1. Juli 2024 dahingehend angepasst, dass die Regierung direkt durch das Volk gewählt wird. Das Initiativbegehren enthält auch Angaben zu einer Ernennung der Regierung, einem möglichen Vertrauensverlust und Neuwahlen. Vieles ist aber noch unklar und müsste in Gesetzen genauer definiert werden. Dies erfordert Zeit, politische Mehrheiten und könnte durch Volksreferenden wieder verzögert oder ausgehebelt werden. Wirkliche Klarheit darüber, wie die Wahlen im Februar 2025 durchgeführt würden, gäbe es frühestens im Herbst 2024.

 

Haltung des Fürstenhauses

Was sagt das Fürstenhaus zur Verfassungsinitiative?

S. D. Erbprinz Alois hat sich in seiner Funktion als Stellvertreter des Staatsoberhaupts sowohl in seiner Ansprache am Staatsfeiertag 2023 als auch in der Thronrede bei der Landtagseröffnung am 19. Januar 2024 klar gegen das Initiativbegehren ausgesprochen.

Was spricht gemäss Erbprinz Alois gegen die Verfassungsinitiative?

Der Erbprinz warnte in seiner Thronrede vor Experimenten in unsicheren Zeiten globaler Krisen. Wörtlich sagte er: «Ich glaube nicht, dass wir durch eine Volkswahl der Regierung irgendwelche Verbesserungen erzielen, die wir nicht auch anders erreichen könnten. Hingegen sehe ich eine erhebliche Gefahr, dass wir unsere grosse politische Stabilität gefährden. Diese ist aber nicht nur ein bedeutender Standortfaktor, sondern damit auch eine wichtige Grundlage unseres Wohlstandes.»

 

Haltung von Landtag, Regierung und Parteien

Was sagt der Landtag zur Volkswahl der Regierung, wie die Initianten sie anstreben?

22 Abgeordnete haben sich in der Sitzung vom Dezember 2023 gegen die Initiative ausgesprochen. An Argumenten erwähnten sie unter anderem, dass das aktuelle System bestens funktioniert und nicht ohne Not geändert werden sollte, dass der Wohlstand des Landes nicht für ein Experiment aufs Spiel gesetzt werden sollte und dass die Position des Regierungschefs bzw. der Regierungschefin gegenüber Fürst und Landtag unverhältnismässig gestärkt würde.

Welches Fazit zieht die Regierung aus den vorangegangenen Überlegungen?

Alle Mitglieder der Liechtensteiner Regierung sind überzeugte Demokratinnen bzw. Demokraten und akzeptieren jeden Volksentscheid uneingeschränkt. Die Regierung ist – in Übereinstimmung mit dem Fürstenhaus – aber auch der Überzeugung, dass es in unsicheren Zeiten mit einer Reihe von globalen Krisen höchst riskant ist, ein bewährtes System, das Liechtenstein schon sicher durch zahlreiche Krisen geführt hat, komplett zu verändern und so aufs Spiel zu setzen.

Wie stehen die Parteien zur Volkswahl der Regierung?

Von den im Landtag vertretenen Parteien sprechen sich lediglich die Demokraten pro Liechtenstein, welche die Initiative lanciert haben, dafür aus. Die Koalitionsparteien Vaterländische Union und Fortschrittliche Bürgerpartei sowie die oppositionelle Freie Liste stehen dem Ansinnen ablehnend gegenüber.

 

Auswirkungen auf Wahlkampf und Wahlverfahren

Welchen Einfluss hätte eine Direktwahl der Regierung auf die Wahlkämpfe?

Es ist davon auszugehen, dass Wahlkampfbudgets und damit Geld eine grössere Rolle spielten. Auch muss damit gerechnet werden, dass Kampagnen persönlicher und härter geführt würden und dass mehr als heute «auf die Person gespielt würde». Dies hätte auch Auswirkungen auf die spätere politische Zusammenarbeit in der Regierung sowie zwischen Landtag und Regierung.

Würde die direkte Wahl der Regierungsmitglieder durch das Volk nicht einen zusätzlichen Ausbau der Rechte jedes und jeder einzelnen Stimmberechtigten bedeuten?

Auf den ersten Blick ist dies der Fall. Doch die Frage ist, zu welchem Preis dies geschieht und ob es das Experiment wert ist. Hinzu kommt, dass die direktdemokratischen Volksrechte in keinem anderen Land der Welt so weit gehen wie in Liechtenstein. Selbst in der Schweiz mit ihrer langen direktdemokratischen Tradition hat das Volk beispielsweise nicht die Möglichkeit, das Staatsoberhaupt mit einem Volksvotum abzusetzen bzw. die Staatsform zu ändern.

Die Bezeichnung «Volkswahl» bzw. «Direktwahl der Regierung», wie die Initiative im allgemeinen Sprachgebrauch in der Regel genannt wird, lässt vermuten, dass das Volk bisher bei der Wahl der Regierung nicht einbezogen wurde. Ist dem tatsächlich so?

Nein. Das Volk wählt alle seine Vertreterinnen und Vertreter im Landtag seit Inkrafttreten der Verfassung von 1921 selbst. Diese bestimmen dann je nach Zusammensetzung des Parlaments und im Auftrag des Volks die Regierung. Dieses System hat Liechtenstein in den vergangenen mehr als 100 Jahren eine einzigartige Stabilität verliehen und damit wirtschaftlichen Aufschwung, Sicherheit und Wohlstand garantiert. Zudem ist es eine seit Langem gelebte Tradition, dass die Parteien ihre Regierungsmitglieder bereits früh bekanntgeben und diese von den Parteigremien in demokratischen Prozessen nominiert werden.

 

Fragen zur konkreten Besetzung der Regierung

Wieso sollte der Landtag ein vom Volk gewähltes Regierungsmitglied überhaupt ablehnen?

Dazu gibt es im Initiativtext keine Ausführungen. Die direkte Volkswahl der Regierungsmitglieder birgt aber zumindest die Möglichkeit, dass Personen mit radikalen Einstellungen in die Regierung gewählt würden. Ob es dann die Aufgabe des Landtags ist, den Volkswillen zum Wohle des Landes zu ignorieren, muss offenbleiben. Die Hürde für die Abgeordneten, ein gewähltes Regierungsmitglied nicht zu bestätigen, erscheint jedenfalls unverhältnismässig hoch.

Könnte ein ungeeignetes Regierungsmitglied nicht vom Fürsten abgelehnt werden?

Obwohl dies im Initiativvorschlag vorgesehen ist, bärge ein solches Vorgehen die Gefahr eines ernsthaften Disputs zwischen Volk und Fürstenhaus. Auch dies würde die Stabilität des Landes gefährden und den gesellschaftlichen Frieden aufs Spiel setzen.

Wer würde im neuen System zum Regierungschef-Stellvertreter bzw. zur Regierungschef-Stellvertreterin?

Das ist eine der vielen offenen Fragen. Jedenfalls wäre es nicht die Person, die bei der Wahl zum Regierungschef bzw. zur Regierungschefin auf den zweiten Platz kommt. Es ist anzunehmen, dass der Landtag aus den gewählten Regierungsmitgliedern eine Person dem Fürsten als Regierungschef-Stellvertreter oder -Stellvertreterin vorschlüge, vermutlich jeweils aus dem anderen Wahlkreis als jenem, in dem der Regierungschef respektive die Regierungschefin wohnt.

 

Fragen zur Arbeit und Funktionsweise innerhalb der Regierung

Wie steht es um den Koalitionsvertrag und die darin festgelegten Ziele für die Legislatur, die das Volk heute transparent über die Pläne der Koalition informieren?

Es ist kaum vorstellbar, dass Koalitionsverträge, wie Liechtenstein sie heute kennt, auch in Zukunft existieren würden. Allerdings ist die Regierung nach aktueller Gesetzeslage dennoch verpflichtet, innerhalb der ersten Monate im Amt ein Regierungsprogramm zu erstellen und dem Landtag vorzulegen. Eine Rückbindung an die Wahlprogramme und einen Koalitionsvertrag würde es aber wohl nicht mehr geben.

Wie würden die Ministerien, also die Zuständigkeiten in der Regierung, verteilt?

Das ist ebenfalls eine der vielen offenen Fragen. Da nur der Regierungschef bzw. die Regierungschefin direkt in eine Funktion gewählt würde, ist unklar, wie sich die restlichen Gewählten auf ihre Zuständigkeiten einigen sollten. Bisher ist es so, dass sich die in der Regierung vertretenen Parteien auf einen Koalitionsvertrag verständigen, in dem dies klar geregelt ist. Künftig würden wohl Begehrlichkeiten die Zuteilung der Zuständigkeiten dominieren.

Was könnte konkret zum Verlust der staatlichen Handlungsfähigkeit führen?

Bisher ist es so, dass die vom Landtag gewählte Liechtensteiner Regierung sich auf eine Mehrheit im Parlament stützen kann. Gemäss dem durch die Initiative angestrebten System ist es möglich, dass ein Regierungsmitglied – oder sogar der Regierungschef bzw. die Regierungschefin – keinen Rückhalt im Landtag hat. Auch könnte er oder sie das einzige Mitglied einer Partei in der Regierung sein, was das Finden von politischem Konsens erschwert. Selbst wenn es auch künftig möglich ist, der Regierung bzw. einzelnen Mitgliedern durch Fürst oder Landtag das Vertrauen zu entziehen, dürfte dies bei einer direkt gewählten Regierung kaum zur Anwendung kommen.

Die Initianten sagen, dass die Initiative die Sachpolitik fördert und dass es ihr Ziel ist, diese gegenüber der Parteipolitik zu stärken. Ist dem so?

Sach- und Parteipolitik schliessen sich nicht gegenseitig aus, wie das Beispiel Liechtensteins mit seiner hohen Lebensqualität, seinem Wohlstand, seinem starken Wirtschaftsstandort, seiner Stabilität und seiner grossen öffentlichen Sicherheit zeigt. Das politische System Liechtensteins beruht – wie das System jeder anderen Demokratie auch – auf Parteien, die sich gegenseitig kontrollieren und den Wettbewerb um die besten Ideen fördern. Parteien auf angebliche Eigeninteressen zu reduzieren, wird ihnen nicht gerecht.

 

Vergleich mit der Schweiz und anderen Ländern

Die Initianten betonen, dass eine Direktwahl der Regierung in zahlreichen Schweizer Kantonen funktioniert. Würde dies auch für Liechtenstein gelten?

Kantone lassen sich einerseits nicht eins zu eins mit einem souveränen Staat vergleichen, der international ganz andere Aufgaben zu erfüllen hat. Auch die Schweizer Regierung, der Bundesrat, wird nicht direkt durch das Volk gewählt. Andererseits kennen die meisten Schweizer Kantone keinen Regierungschef bzw. keine Regierungschefin im Liechtensteiner Sinn und auch kein Staatsoberhaupt. Dafür kennen sowohl die Kantone als auch der Schweizer Bund ein Rotationssystem. Genau dieses Rotationssystem beim Vorsitz der Regierung soll aber in Liechtenstein nicht eingeführt werden. Hierzulande soll der Regierungschef bzw. die Regierungschefin mit einer Wahl in beiden Wahlkreisen für die gesamte folgende Legislaturperiode eine herausragende Stellung erhalten. Somit ist ein Vergleich Liechtensteins mit einem Kanton oder dem Schweizer Bund nicht möglich.

Wo gibt es politische Systeme mit einer Direktwahl der Regierung durch das Volk bereits?

Das bekannteste Beispiel sind die USA, wo allerdings nicht die ganze Regierung, sondern lediglich der Präsident bzw. die Präsidentin durch das Volk gewählt wird. Die weitaus meisten europäischen Staaten und insbesondere alle europäischen Monarchien kennen parlamentarische Systeme, die jenem Liechtensteins sehr ähnlich sind. Direkt gewählte Präsidenten haben ausserdem eine Weisungskompetenz. Eine solche Weisungskompetenz hätte der Regierungschef jedoch nicht – er wäre auch innerhalb der Regierung bei allen Entscheiden der Unterstützung durch zwei weitere Regierungsmitglieder abhängig.

Welche Erfahrungen machen andere Staaten mit der Direktwahl?

Das lässt sich nicht pauschal sagen, und es ist auch nicht an Liechtenstein, darüber zu urteilen. Doch zeigt ein Blick in die jüngste Vergangenheit der USA mit Debatten über den Haushalt und die Schuldengrenzen, welche Blockaden es auslösen kann, wenn der Präsident über keine Mehrheit in Senat und/oder Repräsentantenhaus verfügt. Auf Liechtenstein übertragen würde dies bedeuten, dass auch ein Regierungschef bzw. eine Regierungschefin, der bzw. die über keine Mehrheit im Parlament verfügt, aufgrund der Finanzhoheit des Landtags insbesondere in finanziellen Fragen leicht unter Druck geraten könnte.